BGH: Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt im Rahmen identifizierender Verdachtsberichtserstattung – „Kölner Irrweg“ erfährt eine bemerkenswert klare Absage. Zu Recht.
Soll über Geschehnisse berichtet werden, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung nicht feststehen, wie z.B. im Falle einer Berichterstattung über einen Verdacht, müssen Medienunternehmen strengen Sorgfaltsanforderungen gerecht werden, wenn sie in identifizierender Weise über Betroffene berichten wollen. Denn solche Berichte tangieren das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erheblich und sie haben das Potential – auch bei später erwiesener Unschuld – nachteilige Konsequenzen wie z.B. den Verlust der persönlichen und beruflichen Reputation nach sich zu ziehen.
Für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ist es daher erforderlich, dass genügend Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der erhobene Vorwurf tatsächlich zutrifft, wobei gleichzeitig nicht der Eindruck entstehen darf, dass der Vorwurf unumstößlich bewiesen ist. Ganz wichtig und schon der Ausgewogenheit und Fairness geschuldet: Der Betroffene muss Gelegenheit bekommen, seine Sicht der Dinge zu schildern.
Dies sieht der 15. Zivilsenat unter dem Az 15 W 64/20 des Oberlandesgericht Köln jedoch anders und hat versucht, aus welchen Gründen auch immer, einen Sonderweg zu beschreiten.
So u.a. auch im Falle des von uns vertretenen Beraters einer der international besten Fußballspieler der Welt. Hier hat das Landgericht Köln die erstaunliche Auffassung vertreten, die Verpflichtung, den Betroffenen vor der Veröffentlichung eines gegen ihn gerichteten Verdachts anzuhören und ihm damit die Chance zu geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, sei nicht zwingend. Es sei vielmehr notwendig, im Unterlassungsverfahren vorzutragen, was der Betroffene im Falle einer Konfrontation mit dem Vorwurf gesagt haben würde. Das OLG Köln räumt zwar ein, dass sich eine dahingehende Verpflichtung nicht der Rechtsprechung des BGH entnehmen lasse. Aber es liege „förmlich auf der Hand“, dass es auch darum gehe, ob, gemessen am Prozessvortrag und der insofern jedenfalls dann vorliegenden „Stellungnahme“, die Verdachtsberichterstattung zulässig sei (OLG Köln 15 W 64/20).
Diesem neuen „Kölner Irrweg“ hat der BGH (VI ZR 1241/20) nun in einer erfreulich deutlichen Entscheidung einen Riegel vorgeschoben.
Konkret ging es um einen hochrangigen Manager eines Automobilkonzerns, der 2017 in den USA in Untersuchungshaft genommen wurde. Durch die Berichterstattung im SPIEGEL wurde der Eindruck erweckt, der namentlich benannte Betroffene habe maßgeblich an den Straftaten mitgewirkt, die schlagwortartig unter dem Begriff „Abgasskandal“ zusammengefasst werden. Der SPIEGEL hat es nicht für notwendig befunden, dem Kläger Gelegenheit zu geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Der BGH hat nun in einem obiter dictum klargestellt, dass die Anhörung des Betroffenen zwingende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist. Schließlich soll sichergestellt werden, dass derjenige, der mit einem noch nicht bewiesenen Verdacht in Verbindung gebracht wird, selbst zu Wort komme und seine Sicht der Dinge schildern könne. Dies gelte auch und selbst dann, wenn lediglich nur ein pauschales Dementi des Betroffenen zu erwarten sei. Zumal auch der Hinweis, dass der Betroffene die Vorwürfe bestreite, geeignet sei, der Gefahr einer Vorverurteilung entgegenzuwirken.
Der BGH ließ auch nicht den Einwand gelten, der Betroffene sei inhaftiert und nicht erreichbar gewesen. Das Informationsinteresse habe nur dann Vorrang, wenn alle publizistischen Sorgfaltsanforderungen eingehalten werden. Das bedeute, dass Medienhäuser alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen müssen, um eine Stellungnahme einzuholen. Insofern müsse im Falle der Inhaftierung z.B. versucht werden, mit den Anwälten des Betroffenen zu sprechen oder auch, die Familie des betroffenen zu kontaktieren. Medienunternehmen sind daher gut beraten, den Betroffenen vor der Veröffentlichung anzuhören und dessen Stellungnahme auch redaktionell umzusetzen. Damit reiht sich das Urteil in eine Reihe von Entscheidungen ein, die die Rechte Betroffener einer identifizierenden Verdachtsberichtserstattung stärken (vgl. „Staranwalt“ – Urteil des BGH vom 18.6.2019 – VI ZR 80/18). Der kurze Kölner Irrweg ist zu Ende.
Foto: Edgar Herbst