Ist es OK, wenn die BILD unter der Überschrift „Sie soll ihre Tochter (3) in den Tod gestürzt haben“ von Lilian K. aus Sulzbach im Taunus berichtet, die sich deswegen seit dem 11.01.2023, vor dem Landgericht Saarbrücken verantworten muss? Natürlich nicht!
Die BILD berichtet, dass Lilian K. aus Sulzbach, gemeinsam mit ihren beiden Töchtern (3/1) in Saarbrücken Verwandte besucht haben soll und sie die beiden Kinder dort, von einer „Verbindungsbrücke am Wohnhaus“, in die Tiefe geworfen haben soll. Ihre dreijährige Tochter habe hierbei eine tödliche Schädelfraktur erlitten.
Der Beitrag ist mit einem aktuellen Bildnis von Lilian K. illustriert, worauf sie mit Augenbalken und Mundschutz im Gericht zu sehen ist.
An der Erkennbarkeit der Lilian K. besteht in Ansehung der Vielzahl der im Beitrag mitgeteilten identifizierenden Merkmale, wozu u.a. auch der Geburtsort, der Wohnort, der Vorname, der akademische Grad („Doktortitel in Mathematik“), der ehemals ausgeübte Beruf und der Ort der seinerzeitigen Berufsausübung gehören, nicht den geringsten Zweifel. Dem steht es nicht entgegen, dass der Nachname initialisiert ist und ein Augenbalken aufgebracht wurde. In der Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass ein Augenbalken der Erkennbarkeit, an deren Voraussetzung ohnehin nur sehr geringe Anforderungen geknüpft sind, nicht entgegenstehen.
Der Beitrag stellt nach hiesiger Einschätzung einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Lilian K. dar und begründet Unterlassungsansprüche und Geldentschädigungsansprüche.
Es ist einsichtig, dass eine öffentliche Berichterstattung über einen derart gravierenden Vorwurf eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Das (mögliche) Fehlverhalten wird öffentlich bekannt gemacht und der Betroffene ist sofort mit einem nachhaltigen Stigma belastet. Genau aus diesem Grund sind an eine Berichterstattung, die den Verdacht einer Straftat oder einer sonstigen Verfehlung thematisiert, sehr hohe Anforderungen an die publizistische Sorgfaltspflicht zu stellen. Das Gerichtsverfahren wird ja geführt, um die Umstände der Tat aufzuklären. In einer noch immer recht aktuellen Entscheidung vom 18.06.2019 hat der Bundesgerichtshof daher zutreffend u.a. ausgeführt, dass bis zur Verurteilung kein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit anzuerkennen ist, über die Identität des Betroffenen informiert zu werden (vgl. BGH VI ZR 80/18)
Dies muss gerade auch im vorliegenden Fall gelten, da Lilian K psychisch erkrankt ist und ihre Erkrankung ursächlich gewesen sein könnte. Neurologische Erkrankung – wie Erkrankungen generell – treffen den Betroffenen schließlich schuldlos und ohne eigenes Zutun. Der Betroffen kann nichts für seine Erkrankung. Der Betroffene hat auf seine psychischen oder körperlichen Reaktionen auf die Erkrankung keinen steuerbaren Einfluss. Er handelt schuldlos, weswegen die Rechtsprechung in solchen Fällen aus gutem Grund von der „Schuldunfähigkeit“ ausgeht. An einer identifizierenden Berichterstattung über einen schuldlos agierenden Beschuldigten besteht ganz generell kein anzuerkennende Informationsinteresse In Anbetracht dieser Umstände ist nachvollziehbar, weswegen gerade dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich ein psychisch kranker Beschuldigter vor Gericht verantworten muss, eine Identifizierung zwingend zu unterbleiben hat.