Das Landgericht Frankfurt bleibt seiner Linie treu und nimmt nach seiner Entscheidung zu Renate Künast Plattformbetreiber verstärkt in die Pflicht: Nach Meldung rechtswidriger Persönlichkeitsverletzungen müssen Plattformbetreiber zukünftig auch kerngleiche Inhalte proaktiv löschen (LG Frankfurt vom 14.12.2022, Az. 2-03 O 325/22).
Der Antragsteller ist Beauftragter gegen Antisemitismus. Die Antragsgegnerin ist als Host-Provider für die globale Echtzeit-Kommunikationsplattform Twitter verantwortlich. Der Antragsteller wehrt sich gegen ehrverletzende, unwahre und beleidigende Postings, die über den Twitteraccount „xxx@w“ verbreitet wurden, wo er u.a. als Antisemit, antisemitisch oder Teil eines antisemitischen Packs diffamiert und ihm eine Nähe zur Pädophilie unterstellt wurde. Über die Meldefunktion der Plattform wurde die Antragsgegnerin über die insgesamt immerhin 46 rechtswidrigen Tweets dieses Accounts informiert. Zudem wurde die Antragsgegnerin anwaltlich vergeblich aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.
Das Landgericht Frankfurt hat zutreffend herausgearbeitet, dass es sich bei den angegriffenen Äußerungen um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt. Mit Blick auf den Vorwurf, der Antragsteller sei Antisemit führt das Landgericht aus, dass eine „schlagwortartige Qualifizierung einer politischen Einstellung oder Geisteshaltung einer Person Elemente eines Werturteils“ in sich trage und somit Meinungsäußerung sei. Allerdings sei die Bezeichnung „Antisemit“ erkennbar nicht darauf ausgerichtet, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten und lasse keinen Sachbezug erkennen. Anknüpfungstatsachen, die diese ehrverletzende Meinungsäußerung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Für diese Inhalte haftet die Antragsgegnerin als mittelbare Störerin. Eine Haftungsbegründende Störung verursacht derjenige, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur rechtswidrigen Verletzung der persönlichkeitsrechtlichen Belange beiträgt, wobei als korrektiv dieser sehr weiten Haftungsregel einschränkend die Verletzung von Verhaltenspflichten vorausgesetzt wird. Das Landgericht Frankfurt hat sich hierbei auf die Rechtsprechung des BGH bezogen, der dem Host-Provider ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von rechtswidrigen Inhalten eben solche Verhaltenspflichten auferlegt (vgl. u.a. BGH v. 02.06.2022, I ZR 140/15; v. 24.07.2018, VI. ZR 330/17).
Da die Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten Verhaltenspflichten des Host-Providers nach sich zieht, muss der Hinweis auf rechtswidrige Inhalte so konkret gefasst sein, dass der Host Provider den Rechtsverstoß erkennen kann. Ist der Hinweis so konkret gefasst, dass auf der Grundlage des Hinweises von einer rechtswidrigen Verletzung auszugehen ist, muss der Host-Provider die Stellungnahme des eigentlichen Urhebers einholen und den Sachverhalt unter Bezugnahme hierauf umfänglich ermitteln und schließlich bewerten.
Das Landgericht hat fehlerfrei festgestellt, dass die Antragsgegnerin zwar hinreichend konkret über die rechtsverletzenden Inhalte informiert wurde, die sich hieraus ergebenden Verhaltens- und Sorgfaltspflichten jedoch nicht beachtet hat. Insbesondere ist es unterblieben, den Urheber der Tweets um eine Stellungnahme nachzusuchen um auf diese Weise den Sachverhalt abschließend zu ermitteln und rechtlich einzuordnen. Da dis unterblieben ist, hat das Landgericht Frankfurt die Antragsgegnerin folgerichtig als mittelbare Störerin zur Unterlassung der Verbreitung der konkret benannten Äußerungen verurteilt (Klageantrag zu Ziffer I)
Mit dem Klageantrag zu Ziffer II begehrt der Antragsteller darüber hinaus das Verbot, dass über die Kommunikationsplattform Twitter Äußerungen verbreitet werden, die mit den konkret benannten Äußerungen in Ziffer I kerngleich sind. Auch dieser Unterlassungsantrag war erfolgreich.
Zu Lasten des Host-Providers ergeben sich ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von den rechtsverletzenden Inhalten bestimmte Prüf- und Handlungspflichten. Der Umfang dieser Pflichten bestimmt sich danach, ob und in welchem Umfang dem Host-Provider, als mittelbaren Störer, die Verhinderung der Rechtverletzung zuzumuten ist (vgl. u.a. BGH VI ZR 330/17).
Eine Haftung entfällt nur dann, wenn der Host-Provider ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von konkreten rechtswidrigen Inhalten, „alles technisch und wirtschaftlich Zumutbare“ unternimmt um zukünftige Rechtsverletzungen zu verhindern (vgl. auch BGH I ZR 18/11 – Alone in the Dark“)
Das Landgericht führt insoweit aus, dass dies erfordert, dass Twitter (z.B. nach Anhörung des Urhebers der Rechtsverletzung) „nicht nur dazu verpflichtet [ist], den konkreten Inhalt zu sperren, sondern auch Vorsorge zu treffen [hat], dass es nicht zu weiteren, gleichgelagerten Rechtsverletzungen kommt“. Das Landgericht Frankfurt auferlegt der Antragsgegnerin ab Kenntnis von konkret benannten rechtswidrigen Inhalten, die Haftung auch für sog. kerngleiche Inhalte und führt zutreffend aus:
„Ein auf die konkrete Verletzungsform beschränktes Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung sin. […] Betroffen sind von der Kerngleichheit nur solche Äußerungen, die der Verkehr als den untersagten Äußerungen gleichwertig ansieht und bei denen etwaige Abweichungen den Äußerungskern unberührt lassen. Der Bundesgerichtshof spricht insoweit von einer „Identität des Äußerungskerns (BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17 Rn. 44 – Prozessberichterstattung)“.
Mit diesem Ansatz nimmt das Landgericht Frankfurt Bezug auch auf die Rechtsprechung des EuGH– C–18/18 Rn. 37 ff., der in seinem Urteil vom 03.10.2019 (C-18/18 – Glawischnig-Piesczek) ausdrücklich klargestellt hat, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, einem Hosting-Anbieter „Überwachungspflichten in spezifischen Fällen“ aufzuerlegen und „die von ihm gespeicherten Informationen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen.“
Vorliegend hat das Landgericht zu Recht u.a. solche Darstellungen als kerngleiche und vom Unterlassungstenor umfasste Verletzungshandlungen eingeordnet, die dem Antragsteller eine Nähe zur Pädophilie unterstellen und/oder ihn als Antisemit, antisemitisch oder Teil eines antisemitischen Packs diffamieren. „Derartige“ Äußerungen verletzen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers und dürfen in Bezug auf den Antragsteller von Twitter zukünftig nicht verbreitet werden. Zukünftig wird Twitter auf konkrete Hinweise hin, nicht nur den Sachverhalt sorgfältig und seriös ermitteln müssen. Auch wird Twitter im Falle einer angezeigten rechtswidrigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht von sich aus und insofern pro aktiv weitere, kerngleiche Verletzungen unterbinden müssen um der Haftung, gegebenenfalls auch auf Zahlung einer Geldentschädigung – zu entgehen. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.