OLG Hamburg: kein Anspruch auf Aufhebung einer eV trotz Abweisung der Hauptsacheklage

Der Pressesenat des OLG Hamburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der interessanten Frage befasst, ob dem Antragsgegner ein Anspruch auf Aufhebung der gegen ihn erlassenen einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände (§ 927 ZPO) dann zustehe, wenn die Hauptsacheklage des Antragstellers in II. Instanz abgewiesen wurde, hiergegen jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers zum BGH anhängig ist.

1.)

Der Konstellation liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Wegen einer unzulässigen Berichterstattung erwirkte der durch uns vertretene Antragsteller vor dem LG Hamburg gegen die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung. Die Antragsgegnerin erkannte die einstweilige Verfügung nicht als endgültige Regelung an, sodass der Antragsteller Klage zur Hauptsache erhob. Hierauf verurteilte das LG Hamburg die Antragsgegnerin antragsgemäß. Auf die Berufung der Antragsgegnerin hat das OLG Hamburg das Urteil abgeändert und die Klage teilweise abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen hat der Antragsteller Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH erhoben. Eine Entscheidung des BGH steht noch aus. Das abweisende Hauptsacheurteil des OLG Hamburg ist daher nicht rechtskräftig (vgl. § 544 Abs. 7 ZPO).

Dessen ungeachtet hat die Antragsgegnerin Klage auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung gem. § 927 ZPO erhoben. Bei der – noch nicht rechtskräftigen – Abweisung der Hauptsacheklage handele es sich um einen veränderten Umstand i.S.v. § 927 ZPO. Der Arrestanspruch sei weggefallen, da mit einem Erfolg der gegen das Urteil des OLG eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde „nicht zu rechnen“ sei. Diese Prognoseentscheidung habe das OLG bereits getroffen, indem es zu Lasten des Antragstellers entschieden und zudem die Revision nicht zugelassen habe.

2.)

Das LG Hamburg ist dem nicht gefolgt und hat die Klage auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung abgewiesen und der Antragsgegnerin die Kosten des Aufhebungsverfahrens auferlegt. Zwar hat das Gericht zu Gunsten der Antragsgegnerin in Rechnung gestellt, dass der alleinige Umstand einer anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde nicht zur Zurückweisung des Aufhebungsbegehrens führt. Umgekehrt begründe die Abweisung der Hauptsacheklage aber nicht die Aufhebung, weil es gerade „möglich erscheint“, dass der BGH der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebe. Mit Blick auf dieses „Möglicherscheinen“ hat das LG Hamburg den Anspruch auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Das Urteil (n.rk.) finden Sie hier.

Die hiergegen eingelegte Berufung hat das OLG Hamburg nun zurückgewiesen. Vorliegend seien noch keine veränderten Umstände i.S.v. § 927 ZPO eingetreten, da noch nicht endgültig über das Bestehen oder Nichtbestehen der Ansprüche des Antragstellers entschieden sei.

„Gerade weil vorliegend Ansprüche in Streit stehen, bei denen verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen gegeneinander abzuwägen seien, kann eine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht getroffen werden.“

Die Positionierung der Hamburger Gerichte zu dieser Rechtsfrage ist zu begrüßen. Angesichts der für den Antragsteller einschneidenden Folge, nämlich des unwiederbringlichen Verlustes seiner Rechte aus der einstweiligen Verfügung, müssen strengere Anforderungen an das Bestehen „veränderter Umstände“ i.S.v. § 927 ZPO geknüpft werden. Richtigerweise darf bei vorzunehmenden Prognoseentscheidung nicht allein auf den Inhalt der Hauptsacheentscheidung der II. Instanz abgestellt werden. Zumal es in der Natur der Sache liegt, dass das Gericht der II. Instanz seine Entscheidung grundsätzlich für zutreffend und frei von inhaltlichen und prozessualen Mängeln erachtet. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Mutmaßung, dass nicht mit einem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde „zu rechnen“ sei.

Etwas anderes mag gelten, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig wäre (z.B. wegen Verfristung) oder höchstrichterliche Rechtsprechung (z.B. im Hinblick auf ein EuGH-Urteil) den Erfolgsaussichten entgegenstünde (in diese Richtung etwa OLG HH, Urteil v. 18.09.2003, Az. 3 U 17/03). Beides ist vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen. Dem OLG Hamburg ist darin zu folgen, dass eine inhaltlich andere Beurteilung der hier in Streit stehenden Rechtsfragen durch den BGH nicht auszuschließen ist und dieser Umstand ausreicht, um den Bestand der einstweiligen Verfügung unangetastet zu lassen.

Die eingelegte Streitwertbeschwerde hat das OLG Hamburg ebenfalls zurückgewiesen. Der Streitwert des Aufhebungsverfahrens bemisst sich nach dem Wert des Unterlassungsverfahrens.

DAMM Rechtsanwälte berät kommunalen Spitzenverband zu presserechtlichem Auskunftsanspruch

Unser Mandant, ein kommunaler Spitzenverband, hat uns um Handlungsempfehlung zum Umgang mit einer Presseanfrage einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gebeten, die an eines der Mitglieder unseres Mandanten adressiert war und folgenden Inhalt hatte:

„(…) wir recherchieren über die hessische Fleischwirtschaft. Angesichts der letztjährigen Diskussionen um (…) und der aktuellen Berichte über Hygienemängel in Schlachthöfen von Nachbarländern bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu dem Umstand, dass diese Recherche in besonderem öffentlichem Interesse liegt. (…) In diesem Zusammenhang sind Erkenntnisse Ihrer Lebensmittelüberwachung über die Firma (…) seit 2015 von Interesse. Bitte geben Sie im Wege der Behördenpflicht nach § 3 Landespressegesetz Aufschluss über Ihre Erkenntnisse. (…)“

Dieses Ersuchen wirft die Frage auf, ob und unter Beachtung welcher gesetzlicher Grundlagen durch die Behörde Auskunft zu erteilen war. Hierzu sowie zu presserechtlichen Auskunftsansprüchen im Allgemeinen einige Anmerkungen:

1.)

Der Auskunftsanspruch der Presse resultiert verfassungsrechtlich aus der Pressefreiheit gemäß Art. 5 GG, die, wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung ausführt, „für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstitutiv ist“ und die gesamte Tätigkeit der Presse umfasst, von der Beschaffung der Informationen, über deren Aufbereitung, bis hin zur Archivierung (vgl. BVerfG NJW 2012, 754). Der in den Landespressegesetzen normierte Auskunftsanspruch (in Hessen: § 3 Abs. 1 LPG) steht daher nicht zur Disposition. Insoweit wird von einem „Mindeststandart an Informationsansprüchen“ gesprochen, der den Medien zugestanden werden muss und der die Behörden verpflichtet, der Presse die gewünschten Auskünfte zu erteilen (vgl. zuletzt VGH Kassel, NVwZ-RR 2020, 445).

Daneben wird der Auskunftsanspruch aus den Landespressegesetzen zusätzlich durch selbständige, nicht pressespezifische Normen ergänzt. Diese, nicht pressespezifischen Normen eröffnen jedermann die Möglichkeit, von Behörden Auskünfte in bestimmten Bereichen zu fordern. Hierzu gehört u.a. das Verbraucherinformationsgesetz des Bundes aus dem Jahre 2007 (VIG), das u.a. auf Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (kurz „LFGB“) Anwendung findet (vgl. § 1 VIG) und deshalb bei Presseanfragen für den Bereich der Lebensmittelüberwachung – wie hier – in den Blick zu nehmen ist. Nach dem VIG soll es allen Verbrauchern („Jedermann“) möglich sein, von den jeweils zuständigen Behörden Informationen über bestimmte Produkte der Lebensmittelindustrie zu erfragen. Auf diese Weise ist es jedermann grundsätzlich möglich, Informationen über deren Beschaffenheit, den Herstellungsbedingungen, deren Zusammensetzung oder darüber zu erhalten, ob Untersuchungsergebnisse vorliegen und zu welchen Ergebnissen diese Untersuchungen gelangt sind. Diese Regelungen stehen selbständig neben den Landespressegesetzen, ohne dass sich aus ihnen Einschränkungen der dort geregelten Auskunftsansprüche ableiten ließen. Im Gegenteil. Soweit diese Gesetze Ansprüche begründen, die über diejenigen nach den Landesprozesspressegesetzen hinausgehen, können sich auch die Medien auf sie berufen (vgl. OVG Münster AfP 2004, 475 und OVG Münster AfP 2010, 302).

2.)

Ist nach den vorstehenden Grundsätzen der presserechtliche Auskunftsanspruch von einem weiten Verständnis geprägt, so ist auch dieser Anspruch bestimmten Schranken unterworfen. Kollidiert danach ein bestehender Auskunftsanspruch mit Rechten Dritter, so sind im Wege der praktischen Konkordanz die betroffenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind das jeweils konkret infrage stehende Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und das Gewicht derjenigen schutzwürdigen privaten Belange zu beachten, die der Auskunftserteilung ganz oder teilweise entgegenstehen können. Im Hessischen Landespressegesetz ist diese Systematik in § 3 Abs. 1 Nr. 2 normiert.

3.)

Bezogen auf die vorliegende Presseanfrage waren hierbei u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Auf Seiten der Lebensmittelindustrie waren die schutzwürdigen Betriebs-/ und Geschäftsgeheimnisse sowie das Recht des jeweils betroffenen Unternehmens auf dessen sozialen Geltungsanspruch (Unternehmenspersönlichkeitsrecht) in die Abwägung zu stellen.

Hingegen war zu Gunsten des öffentlichen Informationsinteresses insbesondere zu berücksichtigen, dass das Thema Hygienemängel und Lebensmittelsicherheit in Fleischbetrieben von nachhaltiger und überragender Bedeutung ist. Dies spiegelt sich u.a. darin wider, dass die Lebensmittelüberwachung in dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFBG) eine gesetzliche Regelung erfahren hat, mit der das Ziel verfolgt wird, den Verbraucher mit Blick auf den Warenverkehr u.a. mit Lebensmitteln, Kosmetika und Futtermitten vor Gesundheitsgefahren sowie Irreführung und Täuschung zu schützen und dessen oberstes Gebot die Lebensmittelsicherheit darstellt. Vor diesem Hintergrund konnte ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass an diesem Thema ein großes öffentliches Informationsinteresse besteht und Fragen zu den Ergebnissen der Lebensmittelüberwachung in einzelnen Betrieben sowie dazu, ob und in welchem Umfange es ggf. sogar zu Beanstandungen gekommen ist, von hohem öffentlichen Informationsinteresse getragen sind.

In diesem Zusammenhang war ferner zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) die Wertung getroffen hat, dass auch unterhalb der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung bei „festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen u.a. des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches“ ein besonderes, legitimes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an der Bekanntgabe derartiger Erkenntnisse besteht und dementsprechend auch „Jedermann“ Anspruch auf freien Zugang zu diesen Informationen hat. Diese Wertung muss auch bei der Abwägung im Rahmen des presserechtlichen Auskunftsanspruches berücksichtigt werden, wenn – wie hier – Informationen betreffend Erkenntnisse der Lebensmittelüberwachung begehrt werden. 

Schließlich war zu berücksichtigen, dass gerade Wirtschaftsunternehmen es in besonderem Maße hinzunehmen haben, dass die Öffentlichkeit über etwaige Missstände informiert wird. Hiermit wäre es nicht vereinbar, den Auskunftsanspruch unter Hinweis auf etwaige Ungereimtheiten zu versagen. Dies gilt gerade für den Bereich der Lebensmittelhygiene. Hiermit korrespondiert, dass der Gesetzgeber in § 40 Abs. 1 a LFGB eine Regelung geschaffen hat, wonach die Behörde bei hinreichendem Verdacht von lebensmittel- und futtermittelrechtlichen Missständen in Betrieben verpflichtet ist, die Öffentlichkeit unter Nennung des Betriebes zu informieren. Die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG schützen ein am Markt tätiges Unternehmen, das sich der Kommunikation und damit auch der Kritik der Qualität seiner Produkte oder eines Verhaltens aussetzt, nicht vor diesbezüglichen „Imageschäden“ und dadurch bedingten Umsatzeinbußen. Insbesondere Art. 12 GG vermittelt kein Recht des Unternehmens, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder wie es sich und seine Produkte selber sieht.

Im Ergebnis war festzustellen, dass der Auskunftsanspruch auch unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefährdung zugesprochen wird und die Rechtsprechung – insbesondere im Bereich der Lebensmittelhygiene – insgesamt durch den Aspekt eines überragenden Verbraucherschutzes geprägt ist.

4.)

Auf welche Art und Weise die Auskunft erteilt wird, liegt im Ermessen der Behörde. Ein Anspruch auf Akteneinsicht bestand vorliegend nicht. Grundsätzlich ist die Zusammenstellung von Einzelinformationen ausreichend. Die Auskunft muss mit Blick auf das konkrete Auskunftsverlangen vollständig erteilt werden und der Wahrheit entsprechen, wovon auszugehen ist, wenn die wesentlichen Fakten vollständig mitgeteilt werden. In welchem Maß die Auskunft „erschöpfend“ zu sein hat, richtet sich jeweils nach den konkreten Umständen.

Allerdings sind im Falle noch nicht bestandskräftiger bzw. nicht rechtskräftig abgeschlossener (Verwaltungs-)Verfahren wegen etwaiger lebensmittelrechtlicher Verstöße die besonderen Sorgfaltsstandards der Verdachtsberichterstattung einzuhalten. Im Rahmen der Auskunft ist daher auf eine ausgewogene Darstellung etwaiger Vorwürfe zu achten (Stichwort: keine Vorverurteilung). Es muss u.a. darauf hingewiesen werden, wenn etwaige Verfahren noch nicht rechtskräftig sind und wie der aktuelle Verfahrensstand ist. Dabei ist auch darüber zu informieren, wenn das betroffene Unternehmen die etwaigen Vorwürfe bestreitet.